Anmerkungen zur Technik des Reißens

von Peter Krinke (5-2009 >>11-2010)

Teil 1

Die folgenden Ausführungen sollen keinen Anspruch auf absolute Antworten bedeuten. Allerdings können sie über die derzeitigen, seit zig-Jahren fast immer gleichen Lehrweisen der Technik im Gewichtheben, einen Ansatz zum Nachdenken bieten. Um den Trainern bei der technischen Schulung des Reißens ihrer Sportler Hilfestellung zu geben, wird ein Leitbild angeboten.

Nur, was hat das auf sich? Bei welcher anatomischer Voraussetzung ist es angebracht? Wer gibt darauf eine plausible Antwort?

 

Wird dieses Leitbild schablonenartig angewandt und durchgesetzt produziert man mit Sicherheit, etwa bei den meisten Sportlern, einen für ihn nicht ökonomisch optimalen Bewegungsablauf. Der Verdacht einer "Fehltechnik" liegt besonders nahe, wenn der Heber bei genügend großer Hand bzw. guter Länge des Daumens, nicht mindestens 80% der Leistung im Reißen im Verhältnis des Umsetzens erreicht.

 

Betrachtet man sich die einzelnen Sportler die Gewichtheben betreiben, findet man darunter sehr Kleine, Kleine, Mittelgroße und Große.

Dazu kommen noch die unterschiedlichen individuellen anatomische Ausprägungen. So findet man bei den Asiaten ( bevorzugt, Chinesen, Japaner, Koreaner ) überwiegend Menschen mit langem Rumpf und kurzen Extremitäten.

Die Afrikaner zeigen dagegen einen kurzen Rumpf und lange Extremitäten. Mitteleuropäer liegen so etwa mitten drin. Alle aufgeführten Typen sind in der Lage Weltrekorde zu produzieren. Mit welcher für sie optimalen Technik?

 

Seit Ende der 50er-Jahre wurden die technischen Abläufe mit verschiedenen und auch vergleichenden Untersuchungsmethoden erforscht.

Dabei kam es immer wieder zu konträren Aussagen! Die Untersucher stellen nur den aktuellen Stand der gängigen Hebetechniken dar, können aber keine direkten Hinweise zu einer optimalen,individuellen Technik liefern.

 

Es wurden meines Wissens noch nie die individuelle Technik einer Person im Voraus wissenschaftlich untersucht. Das könnte für Biomechaniker eine interessante, aber auch sehr aufwendige Aufgabe bedeuten.

Welche Probanden kämen in Frage? Sehr junge talentierte Anfänger deren Bewegungsabläufe noch nicht automatisiert sind? Olympiateilnehmer, deren

Technik schon lange gefestigt ist und die Muskulatur bereits danach ausgerichtet ist?

Teil 2

Ein Beispiel aus dem Kraft-3-Kampf, daraus die Wettkampfübung Kreuzheben, möchte ich hier näher darstellen:

Man kann oft beobachten dass, z.B. ein Athlet 350 kg in der Kniebeuge, aber nur 290 kg im Kreuzheben bewältigt und umgekehrt. Es zeigen sich Verhältnisse, die in Teil 1 schon mit den verschiedenen anatomischen Anlagen beschrieben wurden. Der Sportler mit langem Rumpf und kurzen Extremitäten wird bei dieser Übung eher die schlechteren Voraussetzungen haben. Es könnten aber auch Missverhältnisse in der Verteilung der Kraftfähigkeiten zwischen Beinen und Kreuz vorliegen. Die Techniken für diese Übung lassen sich durch eine andere Startposition, durch kürzeren Bewegungsablauf und eine wesentlich breitere Fußstellung gegenüber dem Reißen deutlicher korrigieren.

Dazu ein Beispiel:

Mitte der 80er Jahre trainierte ich eine hochbegabte Kraft-3-Kämpferin.Bei normaler Startstellung, analog dem Umsetzen im Gewichtheben, kam sie auf 180 bis 185 kg im Kreuzheben. Nach der Umstellung auf den SUMO-Stil, breite Fußstellung mit den Fußspitzen etwas nach außen, erreichte sie 210 kg. Dazu ist allerdings eine gewisse Beweglichkeit Voraussetzung.

 

Der Weg der Hantel wurde verkürzt. Noch wichtiger in der Übertragung auf das Gewichtheben ist, dass die Hantel wesentlich näher an der Körperschwerpunktslinie (KSL) gezogen werden konnte. Bei einem Gewichtheber mit einem normalem, ausgeglichenem Körperbau, oder eher längeren Extremitäten ist es deshalb meistens ungünstig den Start beim Reißen mit überlagerter Schulter zu beginnen. Er kommt dadurch vor der 2. und maßgebenden Zugphase in eine ungünstige Position. Bei der Paralellverschiebung hängt die Hantel zu tief und der Rumpfwinkel ist zu spitz. Der Weg um die Schwerpunktslinien Hantel/Hüfte zusammen zu bringen wird länger und kann so zum Geschwindigkeitsverlust während des 2. Zuges beitragen. Bei dieser sogenannten S-Kurve (1), die nach Zekov von ca. 50% der Spitzengewichtheber bevorzugt wurde, geht der Kraftvektor nach oben-vorn. Dadurch entsteht die Gefahr des "Schleuderns".

Meiner Meinung nach ist dies die sichtbarste und häufigste Ursache für Fehlversuche im Reißen.

 

Andere Techniken entsprechend der Kurve (2), wurden zur Zeit der Untersuchung von ca. 35%, der Kurve (3) 10% und der Kurve (4) in der Abbildung 1 von ca. 5% der Gewichtheber praktiziert. Aktuell bevorzugt die Weltspitze gegenwärtig ca. 80% dieHantelflugbahnen 2 und 5.

Mit allen Varianten wurden Weltbestleistungen aufgestellt!

 

Der Weg der Hantelflugbahn (5) wird von meinem Sportler Thimo Solar praktiziert. In der Startstellung steht die Schulter leicht hinter (ca. 6 cm) der Hantel statt wie vom BVDG empfohlen 8 cm davor, der Rumpfwinkel ist eher stumpf. Bei der Parallelverschiebung wird die Ausgangsposition zum entscheidendem 2. Zug früher erreicht. Das Ergebnis ist, dass der Rumpf schon mit stumpfen Winkel aus der Ausgangsposition kommt und die Hüfte nah mit der Schwerpunktlinie der Hantel zusammen geführt wird. Dadurch entsteht kein Geschwindigkeitsabfall (wenn überhaupt, nur ganz gering) und die Hantel geht nach oben.

 

Außerdem gelingt eine engere Hantelführung am Körper entlang und das "Schleudern" wird vermieden. Solche Vorgänge lassen sich von dem am IAT/Leipzig von Holger Jensch entwickelten Weightlifting -Analyser gut beobachten.

 

Diese Technik hat sich inzwischen auch bei anderen von mir trainierten Sportlern bewährt. Schon in der Anfangszeit meiner Gewichtheberlaufbahn konnte ich beobachten, dass es "Amateure" gab, die eine hervorragende Technik im Reißen zeigten. Obwohl diese Sportler nur 1 bis 2 x in der Woche trainierten -Trainer gab es zu dieser Zeit kaum - waren sie in der Lage sich einen guten Bewegungsablauf anzueignen. Solches Vermögen zeugt von einer glänzenden neuromuskulären Anlage und Bewegungsintelligenz. Andere lernen zwar Noten lesen, mangels Stimme aber niemals gut singen

Abbildung 1
Abbildung 1

Teil 3

Im verdeutlichendem Bild 2a ist in der Startstellung zu erkennen, dass die Schulter die Stange überlagert (empfohlen werden ca. 8 cm).

Der Rumpfwinkel, empfohlen wird ca. 150° - zu beachten ist auch der spitze Hüftwinkel.

 

Bei der Parallelverschiebung unter 2b kommt die Schulter weit vor die Hantelschwerpunktslinie. Die Folge kann sein (wie in Teil 2 schon beschrieben),dass durch den weiten Weg in Zusammenführung der entscheidenden 2. Zugphase zum gemeinsamen Schwerpunkt Hantel und Körper, Zeit verloren geht. Dieser Zeitverlust trägt oft zur Verringerung der v-max bei. Die relativ weite Ausholbewegung kann zu einer größeren und runderen Kurve beitragen.

Der Weg der Hantel tendiert dann zu weit nach oben vorne. Mit Maximalgewichten kommt es leicht zu dem unerwünschtem "Schleudern".

 

In Bild 3a (Originalwinkel zu Kurve 5) befindet sich die Schulter des Hebers in der Startstellung - im Gegensatz zu Bild 2 - ca. 6 cm hinter der Hantelschwerpunktlinie. Der Rumpfwinkel beträgt hier nur ca. 50° und die Hüfte befindet sich in einer wesentlich stumpferen Ausgangsposition.

Der nachfolgende Ablauf mit seinen Vorteilen in b + c wurde in Teil 2 schon beschrieben.

 

Tipp: Empfehlenswert ist, dem Anfänger im Gewichtheben nur vage die Startstellung anzudeuten und selbst herausfinden lassen, welche Position ihm am besten erscheint. Ein Sportler mit gutem Muskelgefühl, dies ist Voraussetzung für gute Leistungen in dieser Sportart, wird die richtige Position entsprechend seinen anatomischen Eigenschaften selbst herausfinden.

Es kommt ja auch niemand auf die Idee zu bestimmen, welcher Fuß beim Ausstoßen eines Gewichthebers nach vorne gestellt werden soll.

 

Weitere Möglichkeiten der Technikvariierung ergeben sich über den Standbereich der Füße in der Startstellung. Je nach Zehenaußenstand und evtl. der Standbreite der Füße lässt sich die Hantel näher an der Hantelschwerpunktlinie entlang ziehen. Siehe Bild 4.

 

Ähnliche Versuche, den Weg der Hantel zu optimieren und dabei die Knie aus der Hebephase weg zu stellen um nahe an der HSL ziehen zu können,gab es schon vor fast 50 Jahren > siehe Foto Y. Myake. Es bleibt dabei abzuwägen, wie weit man zugunsten eines Vorteils bei der Hebung den Gleichgewichtsbereich mindern kann.

Yoshinobu Myake, OS 1964 und auch mehrfacher Weltrekordler im Reißen.
Yoshinobu Myake, OS 1964 und auch mehrfacher Weltrekordler im Reißen.

Betrachtet man die Techniken im Reißen im Spitzenbereich von Olympiasiegern, Weltrekordlern und Anderen kommt man zu der Feststellung, dass primär eine individuelle Hantelflugbahn HFB die Zughöhe (sZH )der Hantel und die Hantelgeschwindigkeit (v-max) die ausschlagenden Faktoren zum Gelingen eines Versuches sind.

Alle anderen Parameter sind mehr oder weniger die Folge bzw. die Konsequenz des oben Genannten.

Bei Maximalversuchen aufsteigend bis zum Fehlversuch lässt sich an Hand der Messungen mit dem Weightlifting Analyser (zu beziehen IAT-Leipzig- Holger Jentsch) nachweisen, dass die oben benannten individuellen Parameter dann meistens nicht erreicht wurden.

 

Als Möglichkeit besteht bei einem Fehlversuch auch, dass der Heber diese Kriterien erfüllt, die Last aber dann nicht in der Hocke abfangen kann.

 

Das heißt in diesem Fall, dass es eine Schwachstelle in der kinematischen Kette mit ungleicher muskulärer Entwicklung innerhalb des Bewegungsablaufes vorliegen könnte. Die großen und starken Glieder (Muskeln) der Beine , Hüfte und des Rückens bringen die Last nach oben und die schwächeren Glieder der Kette,Schultern, Ellenbogen und Handgelenke sind nicht in der Lage diese Last dann abzufangen. Diese Unausgewogenheit kann mit entsprechenden speziellen Übungen (siehe Trainingsmethoden...) in den meisten Fällen behoben werden.

 

Der Hauptfaktor um die oben genannten Kriterien zur Höchstleistung sicher zu stellen ist der Aufbau einer hohen Maximalkraft, denn sie  ist die Grundlage der benötigten Schnellkraft. Wenn man bedenkt, dass die Maximalkraft vom Ausgangsniveau auf das 2-fache, bei besonderem Talent bis auf etwa das 4-fache (100 -400%) gesteigert werden kann, dagegen die Schnellkraft etwa um 30% und die Schnelligkeit nur bis zu etwa 10%, sollte eigentlich klar sein wo der Hebel anzusetzen ist. In den mir derzeit bekannten, im allgemeinen angewandten Trainingsmethoden im Gewichtheben, wird die Maximalkraft überwiegend mit schnellkraftähnlichen -Übungen aufgebaut statt umgekehrt.

 

Ich sehe hier noch genügend Möglichkeiten (siehe auch Tr.-Meth...... und Weniger brauchbare....). Bei der Variante in der Sportler mit überlagerter Schulter beim Wegheben der Hantel oder während der eigentlichen Parallelverschiebung die Schulter vor dem 2. Zug in eine überlagernde Position bringen (u. U. in Einzelfällen anatomisch bedingt und dadurch vielleicht notwendig) verursachen sie damit einen Schleudereffekt, zumindest eine schärfere S-Kurve (passieren kann das auch bei einem dicken Bauch) die oft die Schwerpunktlinie nach vorne mehr oder weniger überschreitet.

Teil 4


Grundsätzlich kommt es bei solchen Hebevorgängen zu einem (teilweise bis über 20%igem) Geschwindigkeitsverlust beim Knieunterschieben zwischen
v 1 und v 2. Dieser zeigt sich dann deutlich mit Verminderung der Kraftwirkung auf die Hantel mit einem Wert unter 100% der sich in F 2 wiederspiegelt. Grund dafür ist, dass bei bei der Parallelverschiebung, die Schulter einen längeren Weg zur HantelSchwerpunktLinie zurück legen muss als die Hüfte.

 

Beobachten kann man, dass das Reißen auf internationaler Bühne immer häufiger hinter der HSL (siehe Abbildung 1 Position 2 und 5) stattfindet und die Akteure in der Regel mehr oder weniger nach hinten springen.

Extrem zu beobachten bei M. Dolega Weltrekordler mit 199 kg (105 kg-Klasse) sind es beim Sprung ca. 15 bis 20 cm. Fixiert wird die Hantel, hier mit 195 kg, etwa 30 cm hinter der HSL.


Wenn die Hantel etwa vom ersten Drittel des Fußes bzw. noch weiter vorne an der Fußspitze nach oben und in der Endphase in der Hocke mehr oder weniger weit hinter dem Kopf fixiert wird, ist es logisch, dass in den meisten Fällen hinter der Schwerpunktlinie gehoben wird und der Heber auch den Schwung der Hantel entsprechend nach hinten mit geht bzw. mit gezogen wird ,dabei das fallende Gewicht in seiner natürlichen Bewegung dann relativ"weich" abgefangen werden kann.

 

Das erscheint dem Betrachter dann auch als eine in sich "runde Bewegung".

Ungünstig ist es, gegen die Hantelflugbahn zu springen bzw. darunter verharren zu wollen. Solche Verfahren können zu einem indifferenten Gleichgewichtsbereich führen der dann meist mit den oberen schwächeren Gliedern innerhalb der kinematischen Kette (Schultern, Ellenbogen) zum Ausgleich gebracht werden muss, was nicht gerade gesundheitsfördernd wirken kann.

 

Eine andere Variante in der Technik des Reißens ist die "Überstreckung" im Endzug. Diese Art der Technik ist manchen der eher kleineren Athleten mit kurzen Armen und auch den Hebern eigen, die wegen ihrer anatomischen Anlage keine große Zughöhe der Hantel vor dem Abtauchen erzielen.




Als wahrscheinliche Folge dieser "Überstreckungsvariante" zeigen sich oft geringere Werte im t-Umgr. Als Umgruppieren kann man den Zeitraum bezeichnen, bei dem Heber und Hantel nicht in Bodenkontakt stehen. Ein möglichst niedriger Wert aus dieser Phase soll dann auf eine besonders effektive Technik im Reißen hinweisen. Weitere Ursachen für das Entstehen niedriger t-Umgr.-Werte können auch eine geringere Fußstreckung (der Waden) und ein geringer Auseinandersprung oder so gut wie kein Sprung in die Hocke sein. Siehe die beiden 20jährigen Olympiasieger Ilyin (94 kg-Klasse) Aramnau (105 kg -Klasse) sowie Pashaev (94 kg).

 

Sehr gute Werte für einen "Großen" im t.-Umgr. erzielt der Weltklasse-Superschwergewichtler Udachyn (207 kg Bestleistung)), auf den die beiden letztgenannten Kriterien wie geringe Zehenstreckung und so gut wie keine "Fußbewegung beim Sprung" zutreffen. Allerdings ohne eine Überstreckung im Endzug.


Udachym profitiert außerdem - wie auch wohl der zurzeit perfekteste Athlet Aramnau (WR mit 200 kg)- von einer umfangreichen Körpermitte (günstige Verstärkung des Körperschwerpunktes d.h. größerem Hüft - als Schulterumfang), die ein schnelles, sicheres und stabiles Abfangen der Last zulässt. Der Athlet gleicht äußerlich damit mehr Obelix als Tarzan. Es dürfte sicher sein, dass am plastischen Körperbau interessierte Jugendliche durch ein solches Erscheinungsbild nicht gerade dazu animiert werden mit Gewichtheben anzufangen.

Hier ein Beispiel aus dem eigenen Verein für eine ungünstige Verschiebung der Technik. Trotz hervorragender Werte im t-Umgr. konnte eine effektive

Technik im Bezug auf das Umgruppieren nicht verwirklicht werden.

In den ersten Jahren lernte und trainierte der Athlet M. Bozkurt das Gewichtheben unter Aufsicht und man konnte seine Technik im Reißen bei einem Verhältnis zum Umsetzen mit 115:140 (69 kg-Klasse) mit etwas über 82% als gut bezeichnen.

 

Er brachte für das Reißen mit sehr guter Beweglichkeit und hoher Körpersenkgeschwindigkeit gute Voraussetzungen mit.

Sein Sprung in die Hocke ging deutlich auseinander und er saß stabil mit der Last. Beruflich bedingt trainiert der Sportler seit einer ganzen Reihe von Jahren praktisch alleine. Dabei eignete er sich mit der Zeit eine ungünstige Reißtechnik mit ziemlicher Überlagerung vor dem 2. Zug, einen anschließend geringen Zehenstand, dazu ein Abtauchen auf der Stelle stehend praktisch ohne Sprung in die Hocke an. Es wurden bei ihm in letzter Zeit Werte für das t-Umgr. bis sogar nur 330 gemessen.

 

Mit dieser ins ungünstige verschobene Technik lag seine beste Leistung (77 kg-Klasse) bei 121:161 das ist ca. 75% und derzeit bei 110:150 gar nur 73%

des Umsetzens. Die muskuläre Veranlagung lag bei dem Athleten von Anfang an mehr im Oberkörper. Bei einer spontanen Aktion ohne besonderen Trainingsstand stieß Bozkurt problemlos 170 kg vom Ständer, obwohl er diese Übung vom Ständer bis zu diesem Zeitpunkt nie trainiert hatte. Es soll damit verdeutlicht werden, dass Athleten mit solchen Kräfteverschiebungen beim Reißen mit guter Technik eher bei 85% der Umsetzleistung  liegen (sollten).

 

Im Protokoll kann man durch das Überlagern den Geschwindigkeitsverlust in v 2 ablesen und den geringen Zehenhochstand beim Zug ebenso wie den 

engen nicht gesprungenen Hockesitz im Video erkennen. Durch die Schleuderbewegung (wegen der Überlagerung) und dem kleinen Gleichgewichtsbereich (enger Fußabstand in der Hocke) fällt bei den häufigen Fehlversuchen das Gewicht dann nach hinten ab.



Groß gewachsene haben den Vorteil das Gewicht länger beschleunigen zu können. Dafür muss es auch höher gezogen werden. Je höher die maximale Last gezogen wird, desto leichter wird es unter das Gewicht abzutauchen.

Die Anwendung der vorher genannten "Überstreckungstechnik" ist für diesen Personenkreis problematisch, falls überhaupt machbar.

 

Bei großen Athleten würde sich bei der "Überstreckungstechnik" in der Endphase des Zuges (t-Umgr.) Schulter und Hantel zu weit voneinander, wie bei einer geöffneten Schere, entfernen. Der Heber hätte Mühe, die sich vom Körper entfernende Hantel zu kontrollieren und durch den weiteren Weg auch zu wenig Zeit um unter das Gewicht abzutauchen.

Die t-Umgr.-Werte liegen bei dieser Beschleunigungstechnik im Allgemeinen höher (meist > 400) als bei den kleineren und den "Überstreckungs"-Artisten. Das ist aber keine Begründung für ein uneffektiveres Heben der körperlich größeren Athleten gegenüber diesen "Schnellumgruppierern".

 

Schon vor fast 40 Jahren wurde z.B. proklamiert, dass umso geringer die Differenz zwischen Zughöhe und Sitzhöhe beim Reißen ist, die Technik

effektiver sei. Der theoretische Idealfall wäre dann bei z.B. 1,30 m Zughöhe 1,30m Sitzhöhe- also 100% Perfektion.

 

Betrachtet man den Weltrekordler M. Dolega im Reißen, so beträgt seine Zughöhe im Reißen 133 cm und die Sitzhöhe 106 cm, eine Differenz von 27 cm! Iljyn erreicht eine Zughöhe von 124 cm bei einer Sitzhöhe von 104 cm. Dies ist eine Differenz von 20 cm. Der Olympiasieger und Weltrekordler Aramnau kommt auf eine Zughöhe von 129 cm bei einer Sitzhöhe von 113 cm. Differenz 16 cm!

 

Nach diesen Werten würde der Amateur Bozkurt trotz seiner schlechten Ergebnisse im Reißen bei 123 cm Zughöhe und 113 cm Sitzhöhe, also einer

Differenz von nur 10 cm und dem niedrigsten t-Umgr.-Wert, technisch am besten von den hier Aufgeführten abschneiden!?

 

Die Technik im Reißen muss den körperlichen Fähigkeiten und der Anthropometrie des Sportlers angepasst sein. Jeder Gewichtheber zeigt andere Formen der Technik und dadurch auch andere biomechanische Parameter.

Maradona hatte im Fußball auch eine andere Technik als Beckenbauer und beide ließen sich nicht so leicht kopieren. Unter Nutzung ihrer individuellen

Fähigkeiten waren beide Weltspitze - allerdings musste man sie sich auch entwickeln lassen.

 

Für das Reißen ergibt sich:

Das beste Ergebnis bringt eine individuell abgestimmte Technik (Hantelflugbahn) bei optimaler Beschleunigung (v-max.) auf eine individuelle Höhe, in der der Athlet in der Lage ist die Last abzufangen.

 

Ähnliche Verhältnisse gelten auch für das Umsetzen. Da diese Übung einen relativ kurzen Bewegungsablauf hat, ist es unkomplizierter diese Technik zu

beherrschen.



Animierte GIF-Datei: Herbert Heimburger  Zeitlupenaufnahmen (300 Frames/sec). Film copyright Herbert Heimburger 2010
Animierte GIF-Datei: Herbert Heimburger Zeitlupenaufnahmen (300 Frames/sec). Film copyright Herbert Heimburger 2010

Teil 5

Eine Betrachtung der Relation von Reißen zu Stoßen bei der WM 2010 in der Weltspitze im Vergleich zur aktuellen deutschen Auswahl.

WM 2010

Durchschnittsrelationen Reißen/Stoßen der 3 Erstplatzierten in den Gewichtsklassen 77 - +105 kg Körpergewicht im Vergleich zu den deutschen Teilnehmern:

Es ist offensichtlich, dass sich die Technik im Reißen international in den letzten 30 Jahren weiter entwickelt hat. Mein Eindruck ist, dass in Deutschland ein Nachholbedarf in der technischen Ausbildung im Gewichtheben insgesamt 

besteht. Das BVDG-Team steht leistungsmäßig aktuell in der Weltrangliste auf gleicher Höhe wie z.B. Albanien und die Slowakei.

Das sind Länder deren Bevölkerungsgröße etwa der Einwohnerzahl Berlins entsprechen.

 

Eine Schwalbe (der hochtalentierte M.Steiner > siehe auch unter "Was ist ein Krafttalent...)." macht noch keinen Sommer und im umfangreichen Gremium des internationalen Gewichtheberverbandes (IWF) ist außer im EWF (Europäischer Gewichtheberverband) Technical-Commitee  (Kampfrichter, 1er von 16) und im Medical-Commitee (1er von 11)  ist kein weiterer deutscher Funktionär mehr vertreten. Die wichtigsten Entscheidungen werden im Weltverband somit ohne deutsche Beteiligung getroffen.

 

Wenn sich nichts ändert kann es durchaus passieren, dass man bald im Fernsehen z.B. bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in der A-Gruppenveranstaltung der besten 8 - 10 Akteure nur noch die zum Auftritt frei gebende Hand des Kampfrichterobmannes des deutschen Gewichtheberverbandes zu sehen bekommt.

 

Für so eine große Sportnation wie Deutschland, in der die geschichtlichen Quellen des Kraftsportes mit entsprungen sind, ist das eine ziemlich deprimierende Situation. Außerdem fällt auf, dass der größte Teil der Deutschen Rekorde vor mehr als vor 10 Jahren, teilweise sogar 15 Jahren, der letzte 2002, aufgestellt wurde. Dazu kommt noch das gegenüber der Weltspitze eher mäßige aktuelle Leistungsniveau (Steiner ausgenommen) deutscher Spitzengewichtheber.

 

Wenn ein Athlet die 80%-Grenze des Stoßwertes im Reißen nicht überbieten kann ist höchstwahrscheinlich von einem technischen Problem auszugehen. Die guten Voraussetzungen in einem der modernsten Gewichtheberzentren der Welt  (Leimen) und der guten Infrastruktur mit den Olympiastützpunkten nutzen wenig, wenn man in der Trainingskonzeption und dem Wissen über komplexe technische Bewegungsabläufe des Gewichthebens auf Erkenntnisse aus den 80er-Jahren und früher zurück greift.

 

Beispiele:

Als A-Trainer ist man um seine Lizenz zu behalten verpflichtet, innerhalb von 2 Jahren immer eine "Weiterbildung" zu belegen. Nachdem ich zuvor u.A. einen Massagelehrgang und einen Kreativitätslehrgang in der Sportschule FFM belegt hatte, wollte ich in 2002 bei einem A-Trainer-Ausbildungslehrgang in Leimen (es war die Vorprüfungswoche) mein Wissen auffrischen. Dort wurden dann Methoden vermittelt, die mir schon 1986 zweifelhaft erschienen. Zu diesen Methoden habe ich schon letztes Jahr in meinen Ausführungen:" Ist die praktizierte Trainingssteuerung...." Stellung bezogen.

 

2005 gab es dann im BLZ- Leimen eine große Veranstaltung das "Kraftsymposium". Der Zuspruch war enorm, auch Bundestrainer von anderen Sportarten waren in größerer Zahl zugegen. Ich will jetzt nicht auf alle Themen eingehen, da sich auch nichts wesentlich Neues für mich in Erfahrung bringen ließ.

Zwei Vorträge fand ich jedoch höchst bemerkenswert:

  1. Prof. Schmidtbleicher von der Uni FFM referierte, dass Muskelfasern nach Maximalbelastung ca. 15 Tage zur Reparatur benötigen.
  2. Direkt im Anschluss stellte der Vertreter des BVDG sein Konzept der Be- und Entlastung im Krafttraining dar. In seinem Vortrag empfahl er dabei drei Trainingeinheiten am Tag. Eine Methode mit der die deutsche Olympiaauswahl ein Jahr zuvor 2004 bei den OS in Athen kläglich gescheitert war und sich, auch was die finanzielle Bezuschussung betrifft, davon bis heute nicht mehr erholt hat.

 

Kürzlich besuchte ich im Süden Deutschlands eine Veranstaltung eines Gewichthebervereines der an diesem " Tag der offenen Tür" ein "Schauheben" d.h. Training durchführte. Ich sah zwei Jugendlichen beim Stoßen zu. Diese führten die Übung im Halbstand aus und die Fußstellung ließ im Ausfallschritt auch so manche Wünsche offen. Ich fragte den Trainer, einen rührigen Sportfreund der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich für seinen Verein verdient gemacht hat, ob ich bei den 2 Jugendlichen einige Korrekturen vornehmen dürfe. Es stellte sich heraus, dass diese jungen Sportfreunde gar keine richtige Hocke praktizierten und die Kniebeugen bestenfalls als Halbkniebeugen zu bewerten waren. Ich dachte auch es seien Anfänger und erfuhr überrascht auf Nachfrage, dass schon seit 2 Jahren trainiert wurde. Stolz erklärte mir der Trainer, dass er beim B-Trainerlehrgang u.A. 50 Muskelgruppen auswendig wissen musste (sollte)!

 

Diese Information führte bei mir zur Erkenntnis der positiven Auswirkung dieser Lehrinhalte auf den Trainingsablauf:

Der Trainer kann sich jetzt fachgerecht ausdrücken wenn er die Jugendlichen korrigiert "Du musst bei der Kniebeuge tiefer runter mit dem Gluteus Maximus gehen" statt A.... oder Hintern runter, zu sagen. Das Training erhält so eine wissenschaftliche Grundlage und wird mindestens doppelt so effektiv.

 

Ein anderer Trainer erzählte mir, dass bei der Prüfung die Farbe der versch. Hantelscheiben und wie der Präsident des Landesverbandes heißt, beantwortet werden musste. Für die Ausbildung unserer jungen Athleten gehört dies sicher zu den wichtigsten Kenntnissen.

 

Das alte, starre Ausbildungssystem des BVDG halte ich unter Anderem für einen wichtigen Grund für den/die Leistungsrückgang/Stagnation.

Die Technikausbildung

Die betonte Durchsetzung eines "Leitbildes" in der Technik, verhindert eine vom Sportler durch seine anthropometrischen Vorgaben angepasste Technik anzueignen. (Anthropometrie ist die Lehre und Anwendung der Maße des menschlichen Körpers).

 

Ein Beispiel dazu ist die Anweisung in der Startstellung die Hantel mit der Schulter 6-8 cm zu überlagern. Fast allen Anfängern wird so eine "Zwangstechnik" vermittelt, die die Anatomie des Sportlers nicht berücksichtigt.
Anfängern denen freie Wahl zum Einnehmen der Startstellung gegeben wird, nehmen in den meisten Fällen instinktiv diese Position so nicht ein. Weitere Hinweise mit ähnlicher Wirkung könnten noch aufgezählt werden.

 

In der Fehlererkennung bei der Technikanalyse scheinen außerdem große Missverständnisse/Defizite vorhanden zu sein, die vermeintlichen Fehler zu erkennen und dazu die richtigen Korrekturmaßnahmen herauszufinden und anzuwenden.

 

Da werden unwichtige und nebensächliche Parameter betont, die eher Verwirrung statt Besserung bringen. Oder noch schlimmer, man spekuliert was für eine Korrektur richtig sein könnte, verschwendet damit Zeit und verschlimmert noch das Ganze.

 

Selbstverständlich können sehr starke Hochtalentierte auch mit nicht optimaler Technik im Reißen Weltklasseleistungen erzielen, aber Weltspitze oder Weltrekorde damit aufzustellen wird sehr schwierig bis unmöglich.

 

Auch der Spruch "was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" ist nur eine Redewendung und nicht praxisgerecht.

 

Ein Beispiel:

Mitte der 90iger-Jahre trat ein älterer Sportler unserem Verein bei, weil in dessen alten Verein die Gewichtheberabteilung geschlossen wurde.

Ich beobachtete, dass dieser Sportsmann mit großer Begeisterung das Gewichtheben betrieb, außerdem bis zum heutigen Tag mir und auch dem ASC mit gleichem Engagement seine Unterstützung zukommen lässt. Seine Reißtechnik ließ damals sehr zu wünschen übrig. Der Sportfreund, die 45 schon überschritten, machte sich keine Hoffnung mehr auf eine Technikverbesserung.

 

Als in den Winterferien etwas Zeit war, machte ich damals mit diesem Sportsfreund Videoaufnahmen. Mit Hilfe von auf einer Klarsichtfolie aufgezeichneten Ordinaten zeigte ich ihm auf einem Bildschirm seine Hantelbahn beim Zug und erklärte ihm seinen Bewegungsablauf und gab ihm entsprechende Korrekturhinweise (die Richtigen). Es dauerte nicht lange und er hatte seine Technik im positivem Sinne fast von alleine geändert. Vorteilhaft für seine Sicherheit war, dass ich immer mal während des Trainings ein Auge auf ihn werfen konnte.

 

Der Hammer aber, dass der Sportler mit 50 Jahren dann eine persönliche Bestleistung im Reißen im Wettkampf aufstellte die ihn  zu unser aller Freude dazu befähigte bei den Masters um Medaillen zu kämpfen. Erst vor wenigen Tagen, er steht unmittelbar vor seiner Rente und bestreitet keine Wettkämpfe mehr, haben wir im Verein gemeinsam über diese ungewöhnliche "Technische Spätgeburt" herzlich gelacht. Mit den von mir früher trainierten Spitzenhebern war diese Form der Technikverbesserung so nicht möglich, weil diese in unserem Verein nur sporadisch trainieren konnten.

 

Mit der richtigen Analyse, den dazu erforderlichen richtigen Schlussfolgerungen ist es heutzutage möglich auch hochqualifizierten 

Gewichthebern in einem Zeitraum in dem keine Wettkämpfe bestritten werden sollten, eine individuell angepasste optimale Technik im Reißen zu vermitteln.

Oft hindert auch eine falsche (unökonomische) nicht optimal die Schnellkraft berücksichtigende Trainingsmethodik, eine ädaquate Leistung zum Stoßen zu erzielen, weil der Sportler dann nicht die Schnellkraft für eine hohe Reißleistung aufbieten kann.

 

Sehr wichtig wird die Protokollierung und Auswertung des Trainings genommen. Der Umfang so einer Auswertung von einem Jahr für einen Kaderheber kann 200  DIN A 4 Seiten leicht überschreiten. Das kommt einem dann wie eine "Doktorarbeit" vor, erinnert mich an das aufgeblähte deutsche Steuersystem und hinterlässt einen mächtigen Eindruck als "Arbeitsnachweis".

 

Ein von mir erstellter individueller Jahresplan kommt mit 4 DIN A 4 Seiten aus und ist für den Sportler sehr gut nachvollzieh- und vergleichbar. Selbst ein interessierter Laie kann nach einer Erklärung damit etwas anfangen.

 

In mehreren Kapiteln habe ich bisher einige Komponente dargestellt, die für das Gewichtheben essentiell sind.

 

Um die Komplexität und die Zusammenhänge die zwischen den Kapiteln besteht, zu verstehen, muss man sich schon ein bisschen intensiv damit beschäftigen.

 

Ende letzten Jahres (2009) erklärte ich, dass es 5 vor 12 im Deutschen Gewichtheben sei und schlug eine sofortige Reform der oben angeführten Methoden vor. Zu diesem Zeitpunkt war noch genug Zeit zur Umstellung für die Qualifikationskämpfe und zu den OS 2012 in London.

 

Es kam kein Kommentar dazu!

 

Es geht auch um die Zukunft der Sportart Gewichtheben in Deutschland und um den vorhandenen talentierten Jugendlichen die Chancen zu sichern international weiter an den Start gehen zu können.

Teil 6

Ende August 2010 bei einem Trainerlehrgang korrigierte mich ein Teilnehmer in meiner Wortwahl "Hantelflugbahn": Das hieße doch "Ortskurve der Hantel", so sei jedenfalls der offizielle Sprachgebrauch in der Lehrweise des BVDG.

 

Mit diesem Begriff "ORTSKURVE" setzt man schon von Anfang an ein Signal zu einer nicht optimalen Richtung der Erlernung der Technik des Reißens.

 

Will man den Ablauf des Reißens beherrschen, zieht man die Hantel beim Wegheben zu sich hin und versucht sie dann möglichst gerade nach oben zu beschleunigen. Die "Gerade" kann auch schräg nach hinten verlaufen - das ist biomechanisch gesehen der günstigste Weg, die Hantel mit der individuell notwendigen Geschwindigkeiten nahe am Körper auf die individuell erforderliche Höhe über bzw. hinter den Kopf zu bringen.

 

Geht man beim Zug von einer "Kurve" aus - in den 70/80er Jahren sprach man beim Ziehen von einer "Pendelbewegung" - kann man durch die entstehenden Fliehkräfte zumindest einen Teil seiner Kontrolle über die Hantel verlieren. Dies kann dazu führen, dass der Schwerpunkt zu weit nach vorne auswandert. Außerdem entstehen aus der Schleuderbewegung heraus gehäuft Fehlversuche.

 

Allerdings gibt es auch hochtalentierte Bewegungsspezialisten die solche Unausgewogenheiten mit großem Geschick bis zu einem gewissen Maß ausgleichen können.

 

Beim Heranziehen der Hantel und anschließend möglichst geradem Beschleunigungsweg (Hantelflugbahn) neigt sich die Hantel nach Erreichen der notwendigen Höhe zum Unterspringen in einem Bogen nach hinten auf die sich streckenden Arme. Diese Aktion - je nachdem wie groß dieser Bogen ist - wird immer mit einem ausgleichenden, mehr oder minder weiten Sprung nach hinten verbunden. Es ist daher unsinnig, dem Athleten zum Reißen einen Strich vor die Füße zu malen und zu verlangen, dass dieser nach dem Versuch mit seinem Sprung an gleicher Stelle landen müsse, weil das die optimale Technik sei.

 

Allein schon durch das Auseinanderspringen gelangen die Fußspitzen nach Außendrehen der Füße entsprechend ihrer Länge hinter diese Linie. Dieser Effekt tritt ein, ohne dass der Sportler nach hinten gesprungen ist. 

Versucht der Sportler mit den Füßen am Strich landen muss er nach vorn springen. Er verschlechtert damit seine Zugtechnik weil die Last dann geschleudert wird. Es ist auch so, dass er dann gegen die Hantelflugbahn springen muss. Dies kann dann ungünstige und sogar gefährliche Folgen haben.

 

Im Folgenden ein paar Beispiele von jeweils drei Erstplatzierten in den Gewichtsklassen bis 69 kg und bis 77 kg bei den WM 2009 in Goyang sowie von zwei Jugendlichen anlässlich der DMJ in Ladenburg.

Name Reißen/Stoßen prozentualer Verhältnis
Liao (69kg) 160/186 86,0%
Mirzoyan 154/180 85,6%
Tryatno 150/180 83,3%
    ∅ 85,0%

Alle drei beginnen den Start mit parallelem oder etwas hinter der Hantel stehendem Schulterstand und alle springen beim Zug zurück.

 

Dieser Sprung beträgt geschätzt vom Absatz an, bei Liao ca. 15 cm, Mirzoyan ca. 15 cm und Tryatno etwa 10 cm. Liao und Tryatno erzielen mit v-max von 189 und 192 ms ein für diese Gewichtsklasse ein weit überdurchschnittliches Tempo bei ihrem kurzen Hantelweg, wobei Tryatno eine fast senkrecht verlaufende Hantelflugbahn hinlegt. Es ist erstaunlich wie die Körper - und Hantelschwerpunktlinie zusammengebracht werden. Eine noch höhere Ausbeute im Reißen könnte bei seiner ökonomischen Technik evtl. in mangelnder Handkraft wegen zu kurzem Daumen bzw. der Fingerglieder begründet sein. Etwas über Durchschnitt liegt mit 177 v-max auch Mirzoyan.

Name Reißen/Stoßen prozentualer Verhältnis
Lu (77kg) 174/204 85,3%
Martirosyan 170/200 85,0%
Su 165/200 82,5%
    ∅ 84,3%

Bei 2 Hebern steht die Schulter beim Wegheben genau über, bei Su etwas hinter der Stange. Alle springen deutlich zurück. Lu ca. 10 cm, Martirosyan ca. 20 cm und Su etwa 20 cm.

Lu und Martirosyan liegen bei der v-max ebenfalls über dem Durchschnitt der Weltspitze. Der  Geschwindigkeitsverlust von 6% bei Lu kommt daher, dass Lu vor dem 2. Zug die Schulter etwas überlagert, d.h. die Schulter in dieser Position

statt über, vor der Stange steht.

 

In Ladenburg starteten u.A. Thimo Solar (Zeilsheim) und Matthias Trummer (Obrigheim). Der 16 jährige Matthias zeigt mit parallel zur Hantel stehender Schulter beim Start und eng am Körper gezogener Hantel eine feine Technik in dieser Disziplin und bei 115/137 ist die Ausbeute 84%.Der Sprung rückwärts dürfte bei 5 - 10 cm liegen.

Ebenso der 17JährigeThimo, dem immer wieder von "Experten" unterstellt wird eine schlechte Reißtechnik zu praktizieren. Mit 148/173 lag er im Verhältnis zum Stoßen bei 85,5%.

Seine Schulter steht beim Wegheben 6 cm hinter der Stange (gemessen in 3-09 von Biomechaniker Böttcher in Berlin/Kienbaum) und der Zug findet nahest möglich entlang des Körpers mit hoher v-1 bis v-max 179/218 bei 148 kg statt.

Die Zughöhe ist bei diesem Versuch ein bisschen hoch geraten, was ein Ausdruck von Überschuss statt eines Fehlers ist. Anbei noch ein Versuch 20 Monate zuvor am 3.4.-09 gemessen vom IAT Leipzig. Man kann dabei erkennen, dass die Hantelbahnen dieser 2 Versuche (für Thimo jeweils zu diesem Zeitraum im Max.-Bereich) mit unterschiedlichen Lasten 126/148 kg fast zentimetergenau deckungsgleich verlaufen. Es ist aber auch klar, dass die Technik gerade bei schnellen Leistungssprüngen erst immer wieder angepasst werden muss.

 

Über den schon dazu gemachten Einwand "Kürzer ziehen und schneller drunter springen" eines "Experten" kann ich nur staunen. Das ist in meinen Augen eine Aufforderung zur eigenen gefährlichen Körperverletzung und gleichzeitig ein Ausdruck von fehlender Kompetenz über das Wissen der technischen Abläufe im Gewichtheben. Der Körper muss im Endzug immer ausgestreckt werden. Solche Einschätzungen kommen meiner Meinung nach von Leuten die nie oder kaum junge Leute im Gewichtheben ausgebildet haben und dadurch nie gelernt haben wie Technik tatsächlich funktioniert.

 

Mein Respekt gilt in dieser Hinsicht den vielen Trainerkollegen in den Vereinen, die alle Jahre neue, junge Gewichtheber/innen"produzieren", ihr Wissen dadurch sehr praxisnah erworben haben und auch einsetzen können. Ganz besonders denen, die teilweise seit Jahrzehnten ehrenamtlich bzw. für einen „Appel und ein Ei“ nach Feierabend mit Herzblut in diesem Job fungieren. Dort liegen die wahren Zellen des deutschen Gewichthebens und man sollte aufpassen, dass diese Grundlagen nicht durch Besserwisserei, Arroganz und dazu autoritärem Gehabe zerstört werden.