Spezieller, fundamentaler Trainingsaufbau im Gewichtheben für Fortgeschrittene

von Peter Krinke

Eine Betrachtung der Trainingsmethodik der deutschen Nationalheber

 

Sieht man sich die (6-wöchige?) fundamentale Vorbereitung des BVDG an - hier ein Musterplan von 2002 und darunter der reformierte Rahmenorientierungsplan ab 2012 - kann man den Aufbau in den ausgewählten Übungen erkennen.

Er besteht in der Verteilung der wechselnden Wiederholungsmuster pro Woche von z.B. 450, 650, 550, 350, 550, 450 in 2002 und zu 400, 360, 250, 330, 310, 250 in 2012, bei stetig zunehmender Intensität, die in % festgelegt ist.

Es hat lange gedauert, wenigstens diesen Schritt mit der merklichen  Rücknahme der übermäßig vielen Wiederholungen zu vollziehen. Dennoch sind diese für die talentiertesten Sportler bei weiten nicht ausreichend gesenkt worden.

Vielleicht hat man sich von meinem im Frühjahr 2008 veröffentlichen Musterplan (Kapitel 3, im Vergleich der ersten 6 Wochen = Aufbauphase) und den dazu begleitenden Begründungen doch inspirieren lassen und den Unsinn mit den übermäßig vielen Wiederholungen etwas zurückgenommen. Allerdings ist dann nicht verstanden worden, worauf es eigentlich ankommt:
Es kommt auf die Steigerung der Intensität in den für den 2-Kampf essentiellen Übungsabläufen an, um eine spezielle Hypertrophie in diesen Muskelgruppen zu erzielen.
Große Umfänge mit vielen Sätzen und wenig Satzwiederholungen lassen
nur eine begrenzte Steigerung der Hypertrophie zu.

Tatsächlich aber ließ und lasse ich diesen vorgestellten Musterplan von 2008 (Kapitel 3) individuell bei unterschiedlichen Sportlern angepasst, sogar mit noch weniger Wiederholungen trainieren.

Oft werden statt der vorgegebenen 6 Sätze nur 4-5 Sätze trainiert. Das Hockesenken muss nur von den Sportlern trainiert werden, die Probleme beim Abtauchen und Abfangen der Last haben. Auch die breiten Sitzkniebeugen für den stabilen Sitz in der Hocke beim Reißen, fallen dann ganz weg.
Wenn der Sportler in dieser Disziplin sowieso seine Stärken hat, ist sogar der Überkopfkomplex SS und SCHD v nicht notwendig. Das SCHD v wird dann etwas in der Satzanzahl verringert und im Mittwoch-Training integriert.

Insgesamt kommen so in diesem Wochenplan der fundamentalen Aufbauphase aus Kapitel 3 nicht einmal 200 WH zusammen und in der Wettkampf-Phase dann ab Woche 7 zwischen 130 bis 150 Wiederholungen. In der Wettkampfwoche sind es dann noch deutlich weniger.

Das jetzt alternativ in Kapitel 19 vorgestellte und oftmals erfolgreich angewandte fundamentale Aufbaukonzept für Fortgeschrittene dient in erster Linie der Hypertrophie und Erhöhung der Muskelkraft. Gleichzeitig wird die für das Gewichtheben spezifische Muskelmasse neu aufgebaut.
Dieses Konzept kommt sogar mit nur ca. 100 Wiederholungen pro Woche aus und ist besonders günstig beim Wechsel in eine höhere Gewichtsklasse anzuwenden.
In den schweren Trainingswochen steigt dann durch die erhöhte Aufwärmarbeit in den technischen Schnellkraftübungen die Wiederholungsanzahl auf etwa 120.
Bei Fortgeschrittenen Hoch- und Höchsttalentierten wirkt dieses Programm besonders, vorausgesetzt es ist in der Intensität richtig konzipiert und vom Sportler in der Qualität der Ausführung gut umgesetzt.

Dieses Konzept lasse ich, bis auf geringe Abweichungen, die sich während des Trainings ergeben können, so wie oben beschrieben in 9 Wochen durchführen.

Auch in Wiederholungsanzahl und Intensität ist eindeutig definiert was damit erzielt werden soll:
1 bis 3 Wiederholungen dienen der Präzisierung der Technik und der Erhöhung der Schnellkraft in den technischen Abläufen.
5 bis 6 Wiederholungen in den Kraftübungen dienen der Erhöhung der Maximalkraft und der Erhöhung der Muskelmasse - zielgerecht in den Bewegungsabläufen für das Reißen und Stoßen.

Das Training ist wegen der primär entscheidenden Be- und Entlastung in drei verschiedene Komplexe unterteilt:
1. Beinkomplex, 2. Oberkörper-Schulterkomplex und 3. Rückenkomplex.
Diese Form der Belastung ermöglicht es die Kraftübungen mit einer hohen Spannungsfrequenz und gleichzeitig einer hohen Intensität zu trainieren. Das Ergebnis lässt sich, mit der Voraussetzung einer intelligenten Planung, dann im Reißen und Stoßen mit einem effizienten Übertrag verwerten.
Außerdem ist die Zusammenstellung der Übungen so konzipiert, dass fließend in die Folgeübung übergegangen werden kann, statt immer wieder mit erhöhtem Aufwärmaufwand andere Übungen zu beginnen.

Dieses Krafttraining mit hoher Spannungsarbeit bewirkt, dass kleine Risse (Mikrotraumen) in den Muskeln entstehen. Im Ruhezustand (Pause) bauen sich die Muskeln neu auf und werden größer um den neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Die Sarkomer-Dichte (Kraftwerke der Muskeln) nimmt zu. Diesen Vorgang bezeichnet man als Hypertrophie.
Eine hochwertige und eiweißreiche Ernährung erleichtert diesen Aufbauprozess.


Das BVDG-Training
Nun sehen wir uns das BVDG-Training, welches nach meinem Informationsstand bis etwa einschließlich 2012 trainiert wurde, nach diesen Überlegungen an:

In der Regel wurden pro Woche 6 bis 8 Trainingseinheiten absolviert. Es wurde also oft 2x täglich trainiert.

Hier ist eine mir im Original vorliegende typische Wochenaufteilung eines hochtalentierten und erfolgreichen deutschen Spitzengewichthebers. Als Beispiel zeige ich die sogenannte fundamentalen Vorbereitungsperiode“  und dazu eine Woche aus der Wettkampfvorbereitung.

Betrachten wir diese 2 Wochen in ihrem Aufbau aus dem 17-wöchigen Zyklus etwas genauer:

 

Die 5-er-Wiederholungen wurden in der fundamentalen Periode nur an 3 Wochen in dem gesamten 17-Wochen-Rythmus ausgeführt. Die WH-Anzahl in dieser Woche lag bei 500 Wiederholungen (WH gezählt ohne Aufwärmen).

In der WK-Vorbereitung wurden dann auf knapp 350 Wiederholungen reduziert.

Schauen wir uns von der fundamentalen „Aufbauwoche“ die „fachmännische Zusammensetzung“ der Übungen an:

Nachdem am Montag früh Zug breit und Schwungdrücken trainiert wurde, beginnt man am Nachmittag  mit der Schnellkraftübung Reißen. Warum fängt man ein Training mit Hilfsübungen an?

Am Montag Nachmittag beginnt dann das Training mit der Schnellkraftübung Reißen. Warum wird der Organismus am Vormittag ermüdet und die Schnellkraftübung  Reißen muss erst in der 2. TE am Tag - dann nicht mehr in aller Frische - ausgeführt werden?

Anschließend folgt die 2. Rückenübung mit Zug eng! Warum werden an einem Trainingstag 2 Zugübungen ausgeführt?

Nachdem der Rücken durch die 70 Züge an diesem Tag so richtig malträtiert wurde, werden nochmal 35 schwere KB vorne drauf gesetzt!

Was erwartet man, wenn nach 2 Zugübungen auf die erschöpfte Muskulatur noch KB vorne folgen?

So eine Trainingszusammensetzung ist total daneben führt kaum zu besserer Beinkraft , aber ziemlich sicher zu Gesundheitsschäden.  
Ist denn den Verantwortlichen nicht bekannt, dass die Züge ebenfalls mit Beinkraft ausgeführt werden und nach diesen Bewegungsabläufen vor allem der untere Rücken anschließend durch 35 schwere Kniebeugen äußerst fahrlässig belastet wird?

Nachdem nun am Montag mit 35 WH Schwungdrücken die Schultern, Rücken und Beine so richtig „ausgelutscht“ wurden, kommt am Dienstag als erstes die Schnellkraftübung Reißen dran.

Wieso glaubt man, dass nach diesen Montags-Belastungen der Organismus in der kurzen Zeit schon wieder die volle Spritzigkeit erlangt hat, um „schnellkräftig“ arbeiten zu können?

Direkt im Anschluss kommt die Wahnsinnsübung KB vorne + Ausstoßen (siehe Kommentar von Montag).

Nach ZB und ZE und schweren KB vorn am Vortag, setzt man mit Lastheben breit (das so etwas wie Kreuzheben mit breitem Griff ist) am Dienstag noch voll einen drauf! Das ist für mich der größte Hit.

 

Am Mittwoch ist mal Pause - wohl mit Physiotherapie-Massage! Ob das noch hilft ist äußerst fraglich (siehe Referat von Prof. A. Ferrautiüber Regeneration im Kraftsport.).

 

Der Donnerstag fängt wieder mit den Hilfsübungen Zug breit und Reißkniebeugen an  (Kommentar s.o.).

 

Am Donnerstag Nachmittag geht es dann wie gehabt zur Sache mit Ausstoßen und schon wieder KB  - diesmal hinten. Danach kommt Kraftdrücken für die Schultern.

 

Am Freitag beginnt man mit Standreißen. Dann kommt wieder eine Glanzleistung der Trainingsplanung: Nachdem man am Tag zuvor die Schultern durch Ausstoßen und Kraftdrücken so richtig belastet hat, führt man nun das Stoßen aus. Dass dabei die Beine vom Tag zuvor mit schweren KB hinten noch nicht erholt sein könnten, nimmt man nicht wahr oder es wurde etwas nicht verstanden.

Nach diesem „Hammer“ greift der Trainingsplaner nun zum „Vorschlaghammer“: Es folgt Lastheben eng (so etwas wie Kreuzheben).

 

Samstag beginnt das Training nach dem schweren Freitag mit Zug eng und anschließend folgen KB hinten und Kraftdrücken!

 

Nachdem mir schon am Freitag der Mund offen stehen blieb, weil ich nichts mehr dazu zu sagen wusste, blieb mir am Samstag bei dieser wirklich blödsinnigen Übungsfolge noch die Spucke weg.

 

Betrachtung der negativen Auswirkungen der Trainingsverfahren auf unsere größten Talente

 

Genau so „fachmännisch“ wie das unbrauchbare Leitbild von der „Technik in Perfektion“ sind die „Trainingskonzeptionen des BVDG“.
Angepriesen werden solche oder ähnliche  Weisheiten in diversen Lehrgängen. Dazu dann mit der Angabe „noch mehr Kompetenz geht nicht“.

Es wäre zum Lachen, wenn dann nicht die Sportler und Sportlerinnen mit diesen unausgegorenen und ungeeigneten Vorgaben die Dummen und auch Leidtragenden sind.

Ohne jegliche Rücksicht auf die biologischen Vorgänge in der Muskulatur und weiteren Organstrukturen, werden mit solchen Plänen Muskelgruppen in kurzen und kürzesten Abständen immer wieder gleich belastet. Dieser Unsinn geschieht mehrfach täglich 6 - 8x pro Woche, mit teilweise ungeeigneten Übungen, wie aus dem vorgestellten Originalplan zu ersehen ist.
Das wirkt auf die schon kurz zuvor im Training zerstörten Muskelfasern etwa so, als wenn man eine offene Wunde die heilen soll, nicht in Ruhe lässt und immer wieder aufkratzt.
So kommt es zu einer chronischen Entzündung der Muskulatur, die verhindert dass eine optimale Hypertrophie mit entsprechendem Kraftzuwachs entstehen kann.
 
Womöglich wird dieser Zustand dann noch von dem Trainingsplaner als optimale Muskelspannung interpretiert.

Von einer geplanten systematischen Anpassung ist nichts zu erkennen. Mit solchen Verfahren bringt man die notwendigen Anpassungsvorgänge ständig durcheinander, statt den Sportler seinen Möglichkeiten entsprechend voran zu bringen.
Im dargestellten Beispiel wird der Rücken 6x und 4x die Beine direkt belastet.
Dazu kommen noch die anderen technischen Übungen (Kraftdrücken ausgenommen) die mit ihrer spezifischen Belastung ebenfalls auf Rücken und Beine treffen.

Außerdem setzt der Sportler für das Heben die Bänder, Sehnen, Knorpel sowie diverses Gewebe seines Körpers ein. Diese werden in den aufgeführten Trainingseinheiten immer wieder in kürzesten Abständen stark belastet. Die Abnutzung wird dabei nicht berücksichtigt. Sehnen, Bänder und Knorpel brauchen dazu noch wesentlich länger zur Regeneration als die Muskulatur!

Je größer das Krafttalent ist, umso belastungssensibler ist die Muskulatur. Die Muskulatur benötigt bei Krafttalenten besonders lange Erholungszeiten.


Ein Muskel der wachsen (hypertrophieren) und stärker werden soll, braucht eine zunehmend langanhaltende hohe Spannungsentwicklung innerhalb der Muskelfaser, damit möglichst alle Muskelfasern durch die von außen einwirkenden Kräfte „beschädigt“ und dadurch zu vermehrten Wachstum angeregt werden.

Wie das gehen kann wurde von mir in dem Aufbau-Training im Hauptteil dieses Kapitels gezeigt.


Bei zu viel Training und zu wenig Erholung kommt es eher zur Rückbildung und die Leistung kann sinken (siehe auch Beispiele in Kapitel 14 Be- und Entlastung im Leistungssport).

 

Professor Hartmann machte in dem bereits erwähnten Kraftsymposium auch klar, dass nach seinen Untersuchungen ein Sportler durch falsches Training über einen gewissen Zeitraum leistungsmäßig nicht mehr der alte sein würde und seine Möglichkeiten nie mehr maximal ausschöpfen könne.

 

Ich habe es schon in anderen Kapiteln erwähnt: Knorpel, Sehnen und Gelenke benötigen nach intensiven Belastungen wesentlich längere Zeit zur Erholung als die Muskulatur. Durch dieses BVDG Trainingsverfahren wird nicht nur das Potentials des Sportlers nicht ausgeschöpft, sondern auch eine verkürzte Karriere wegen Überlastungsschäden dieser Körpersysteme vorprogrammiert.

 

Professor Ferrauti (Ruhr Universität Bochum) erklärte in dem Kraftsymposium über "Krafttraining und Regeneration", dass es wissenschaftlich nicht belegt sei, dass Massagen und physiologische Anwendungen (ausgenommen evt. Lymphdrainage) überhaupt zur schnelleren Regeneration beitragen.

 

Teil 3: Wie sich die bisherigen BVDG Trainingsverfahren am Beispiel einzelner deutscher Spitzenheber auswirken.