Hinweise zur Erlernung einer individuellen Technik im Reißen (Teil 2 vom 29.07.2014)

von Peter Krinke

Wurde dem Sportler eine ungünstige Startposition beigebracht, erfolgt daraus möglicherweise ein unökonomischer Zug. Dann kann er sein Potenzial niemals in vollem Umfang ausschöpfen. Weil er es nicht anders gelernt hat, wird er es auch nicht selbst bemerken.

 

Hier ein Beispiel von 2 hervorragenden deutschen „Krafttalenten“ und Nationalhebern bei denen eine ungünstige Startstellung und der daran anschließende Zugverlauf eine ihren Möglichkeiten entsprechende Leistung deutlich verhindert:

Tom Schwarzbach 2011 Endkampf BL mit 153kg
Tom Schwarzbach 2011 Endkampf BL mit 153kg
Stellung bei v1
Stellung bei v1

Die Startstellung ist nach „Leitbild“ ca. 6-8 cm oder mehr mit der Schulter vor der Stange. Die Füße zeigen gerade nach vorne. Wahrscheinlich steht die Hantel dazu noch zu nah an den Unterschenkeln.

Daraus resultiert ein eins-zwei Zug. Das heißt der Heber muss zuerst den Hintern heben bzw. die Beine strecken damit die Hantel die „richtige (?)“ Zugposition zur maximalen Beschleunigung bei v1 erreicht.

(Allein bei diesem ausgeführten Versuch trat ein Geschwindigkeitsverlust bei Tom in dieser Zwischenphase v1 und v2 von 27% auf.)

 

Der Zug kann mit dieser Technik nicht durchgehend und bis zur maximalen Geschwindigkeit (vmax) ansteigend ausgeführt werden!

 

Auch die folgenden Bilder - die v1 Positionen der folgenden Sportfreunde wurden in ziemlich genauer Stellung aus dem Weighlifting Analyser projiziert - zeigen den Unterschied zwischen einer günstigen und ungünstigen Zugtechnik beim Reißen in Höhe von v1.

v1 (in cm/s) ist das vertikale Maximum der Hantelgeschwindigkeit am Endes des 1. Zuges.

 

Diese mitentscheidende Position v1 führt vor der maximalen Beschleunigung (vmax) bei Tom und Jürgen - ausgehend von der nicht passenden Startposition durch den ungünstigen Zugverlauf - in eine deutliche Vorlage des Oberkörpers. Aus diesem Grund hängt die Hantel weiter unten in der Position v1 als bei einer optimalen Technik.

 

Anschließend wird die maximale Beschleunigungsphase (vmax) mit einer übermäßigen Ausholbewegung des Oberkörpers, unter verminderter Mitarbeit der Beinstrecker und überwiegend mit den Rückenstreckern, in die vertikale Richtung ausgeführt (eins-zwei Zug). Es werden zuerst die Beine und dann der Rücken eingesetzt, statt wie bei einer Ziehharmonika eine gleichmäßige Öffnung des Bein- und Hüftwinkels auszuführen.

 

Das gleiche Bewegungsmuster lässt sich bei Jürgen Spieß mit 168kg im Endkampf der BL 2011 beobachten

Jürgen Spieß
Jürgen Spieß

Der Geschwindigkeitsverlust liegt hier bei v1 – v2 im Bereich 8 bis 10%. Ebenso ist bei dieser unökonomischen Zugvariante ein unnötiges Auswandern der Hantel während des 2. Zuges in der Maximalphase (vmax) nach vorne vorprogrammiert (Schleudern).

Durch den ungünstigen Winkel zwischen Schulter und Hantel beim Startzug vor der maximalen Beschleunigungsphase (vmax) wird ein weites Ausholen verursacht. Dies unterbindet eine höhere Beschleunigung und Treibhöhe in der senkrechten Phase der Hantel.

So wird von vornherein das Erreichen der erforderlichen Zughöhe der Hantel verhindert, die für ein Unterspringen mit sonst erreichbaren Maximallasten Voraussetzung wäre.

 

Bildlich gesehen: Wenn ein Boxer zum K.O.-Schlag erst w e i t ausholt, würde er sich zuvor selbst 2 bis 3 Treffer einhandeln bevor er einen Treffer landen könnte. Oder ein Springer der einen maximalen Standhochsprung ausführen will und dabei zu tief in der Hocke mit dem Sprung beginnt.

 

1. Die Startphase ist mit maßgebend, damit der Athlet seine optimale Position für den 2. Zug erzielt.

 

2. Die günstigste Position für den 2. Zug ist dann erreicht, wenn der Neigungswinkel kurz vor der maximalen Beschleunigung der Hantel zwischen Schulter und Hantel gering ist.

 

3. Je kleiner dieser Winkel gehalten werden kann, umso höher kann die individuelle Zuggeschwindigkeit (vmax) gestaltet werden.

 

Aus dieser technisch günstigen Winkelposition lässt sich, je nach Leistungsniveau des Athleten, das doppelte bis 5-fache der Last der angestrebten Leistung im Reißen bewegen.

 

Dazu 3 Beispiele: Unsere Gewichtheber-Mädels - alle drei um 1.62 m groß und zwischen 53 und 56 kg Körpergewicht - ziehen mit Zughilfen spontan 200kg und mehr aus der oben beschriebenen Position für den finalen Zug zum Reißen.

 

Sali kommt vom CrossFit Mainz und ist Anfängerin (seit 2 Monaten) im Gewichtheben:

Sali (Gewichtheber-Anfängerin)
Sali (Gewichtheber-Anfängerin)

Martha Jane vom CrossFit Wiesbaden:

 

Beide starten für den ASC-Zeilsheim im Gewichtheben.

 

Weitere Beispiele hervorragender Reißspezialisten mit Platzierung der Hantel in der Position v1 im Folgenden.

Man beachte den Unterschied der Schulter- und Beinwinkel sowie die Stellung der Schulter zur Hantel in der v1 Position vor der maximalen Beschleunigung der Hantel.

 

Dass es in Deutschland über die richtigen Bewegungsabläufe im Gewichtheben für die verschiedenen Anatomien der Athleten-Typen teilweise etwas seltsame Vorstellungen gibt, stelle ich auch daran fest, dass es für die Zugposition v1 eine Übung unter MKF (Maximalkraftübungen) aus dem Trainingsmittelkatalog des BVDG, mit der Nr. 22 den Powerzug breit, gibt. Wiederholungen mit einer mittleren Hantel-Last von 82% des Reißens werden empfohlen, um noch stärker in dieser Position zu werden.

Gerade da hat man bei korrekter Technik anhand der Zusammenführung der beiden Schwerpunktlinien von Hantel und Körper in v1 sowieso eher einen Überschuss und kann bei optimaler Technik den höchstmöglichen Wirkungsgrad beim Reißen erzielen.

 Gleiches gilt mit der Empfehlung einer Last von 72% für das Umsetzen!

 Wie oben von den 3 Mädels in der Position für den Powerzug präsentiert, ist das ein falscher Ansatz. Die „Musik“ beim Reißen spielt woanders. (Siehe dazu auch Kapitel 6 "Weniger brauchbare und...".)

Ist bei den einzelnen Athleten und Athletinnen die optimale, individuelle Startstellung gefunden, zieht der Athlet mit einer langsamen geführten Bewegung im "Zug breit" bis etwa zur Hüfthöhe.

Anschließend führt der Athlet separat das Umgruppieren mit Reißen aus dem Hang mit Sprung in den Sitz aus, bei dem jeder Versuch im stabilen Sitz fixiert (etwa 2 Sek. Sitzen) werden sollte.

Dann wird das Technische Reißen komplett ausgeführt:





Wird der Neigungswinkel zwischen Schulter und Hantel kurz vor vmax (Bild 3) gering gehalten - ist dadurch eine engere Hantelführung mit einer höheren vmax und in der Folge eine höhere individuelle Zughöhe möglich.


Im Folgenden weitere Beispiele von Anfängern oder Hebern mit individuell korrigierter Startstellung.

 

Gewichtheben-Anfänger Leon nach ca. 5 Wochen:

 

Anfängerin Sali nach etwa 7 Wochen:

 

Martha-Jane im folgende Video mit unkorrigierter Ablauf im Reißen:

Martha-Jane mit korrigiertem Ablauf:

 

Bei Jaime gelang die Umstellung nach ca. 4 Wochen und nach 8 Wochen Verbesserung um 10kg.

Jaime mit persönlicher Bestleistung:

 

Markus mit Fehlversuch nach etwa 2 Monaten Technikkorrektur:

Markus mit korrigierter Startstellung: